Auch die Veloglocke tut es: Dabbawallas in Mumbai verteilen Essen in die Büros der Angestellten. Fotos: Ruth Bossart
Haben Sie gewusst, dass man sich mit der Autohupe nicht nur Gehör oder Vortritt verschafft sondern sich auch bedanken kann? Also – dies mag vielleicht nicht unbedingt für die Schweiz gelten. Doch für die Türkei auf jeden Fall und auch für Indien – meinen beiden Wahlheimatländer der letzten sechs Jahre – auf jeden Fall. Ein Auto, Fahrrad oder sogar Schubkarren ohne Hupe sind nicht verkehrstüchtig. Denn ohne Hupe geht in diesen Ländern gar nichts im Strassenverkehr.
Dies hat zur Folge, dass die Hörner praktisch nonstop in Gebrauch sind und es auf einer Hauptstrasse so laut sein kann, dass man das eigene Wort nicht mehr verstehen kann. Was eigentlich nichts macht, denn es wird von allen Verkehrsteilnehmern erwartet, dass sie die Hupe zur Kommunikation eingesetzt wird: Ist ja klar, dass ich sofort auf die Hupe drücke, wenn die Ampel vor mir grün wird, denn es könnte sein, dass der erste Fahrer dem nicht in der gleichen Zehntelsekunde gewahr wurde. Praktisch (und gar nicht etwa unhöflich, wie wir in der Schweiz sozialisierten Menschen annehmen) ist es auch, dass man sich mit dem Hupen den Gemüsehändler am Strassenrand zum Autofenster ruft, damit man direkt vom Rücksitz aus seine Tomaten kaufen kann. Die Hupe wird auch eingesetzt, um seine Präsenz zu markieren. Auch mitten in der Nacht, wenn es wenig Verkehr hat, bog mein Fahrer nie in eine Strasse ein, ohne vorher ein kurzes, freundliches „hier-komme-ich-Güggli“ von sich zu geben. Wichtig: Hupen ist nicht hupen. Es gibt die aggressiven, die freundlichen, die warnenden, die pro-aktiven, die dankenden, die fluchenden, um ein paar Beispiele zu nennen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie alle laut sind – mehr oder weniger. Messungen in Vor-Corona-Zeiten in Mumbai haben ergeben, dass die Kakophonie oft 90 oder mehr Dezibel erreicht. Dies ist ein Wert der gemäss WHO Standards zu permanenten Hörschäden führt. Vor allem, wenn er oder sie der Belastung über mehrere Stunden täglich ausgesetzt ist. Das Hupkonzert wird noch durch die schrillen Trillerpfeifen der eifrigen Polizisten befeuert, die versuchen, sich Gehör und Autorität zu verschaffen und das unbändige Chaos von Lastwagen, Lieferfahrzeugen, PKWs, Rikschas, Velos und Schubkarren von Pferden, Ochsen oder Menschen irgendwie zu entwirren und wieder in Bewegung zu setzen. Wenn ich jeweils von Indien oder Türkei in die Schweiz zurückgekehrt bin, kam mir die Schweiz immer sehr leise vor. Sogar zu Stosszeiten glaubte ich mich eher auf einem Friedhof als am Strassenrand einer Hauptverkehrsader. Dass aber die Lärmtoleranz und das -empfinden sehr relativ ist, habe ich kürzlich realisiert, als ich abends auf dem Balkon sass und es einfach nur Still war – absolut ruhig, mitten in der Stadt Bern, nahe einer sonst rege befahrenen Brücke. Anders als früher bringt mich das aber gar nicht mehr aus der Ruhe – im Gegenteil. Ich geniesse es.Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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