Foto: Larissa Bassin
Es ist ein später Nachmittag in der Universitätsbibliothek. Ich sitze an einem Gruppentisch und lerne für die nächste Prüfung, schreibe gleichzeitig noch ein bisschen an einem Aufsatz und recherchiere nebenbei noch für eine Präsentation, die ich nächste Woche halten muss. Der Kopf ist nicht mehr ganz klar, die Augen sind müde und mein Blick schweift über die anderen Mitstudierenden, die mein Schicksal an diesem Donnerstagabend teilen und noch vor ihren Laptops sitzen. Und da sticht mir etwas ins Auge. Vor einer Kommilitonin liegt ein Buch mit dutzenden farbigen Post-its auf den Seiten verteilt. Die blauen, pinken, gelben, orangen und grünen Zettelchen leuchten in den grauen Lernräumen wie ein Regenbogen auf und ziehen mein Blick auf sich. Es ist ein kleines Kunstwerk. Als mein Blick ein paar Tische weiter schwebt, sehe ich die gleichen Farben wieder in Form von Klebezettel in einer Agenda, versehen mit kleinen Notizen, die wohl an verschiedene To-Dos erinnern sollen. Und so schweifen meine Gedanken weg vom Lernen hin zu den kleinen farbigen Notizblättern.
Wer kennt sie nicht? Die Post-its, deren Bezeichnung übrigens zu der Gruppe der Deonyme zählt, da ihr Markenname so bekannt ist, dass dieser gebräuchlicher ist als die eigentliche Bezeichnung «Haftnotiz». Aber es geht hier nicht um irgendwelche Begrifflichkeiten, sondern um die alltäglichen Lebensretter in Form von Klebezettel. Egal, ob als Erinnerungsstütze in der Agenda einer Studierenden, als Markierung im Kochbuch für das Lieblingsrezept, als Zettel auf der Stirn beim Spiel «Wer bin ich?», als Aufbewahrungsort für mehr oder weniger wichtige Passwörter, als Überbringer von Liebesbotschaften an Unbekannte oder als Einkaufsliste: Die kleinen Alltagshelfer, die es mittlerweile auch in Pastellfarben gibt und sie so gleich viel «instagrammabler» macht, sind überall anzutreffen. Und man fragt sich, was passieren würde, wenn es diese Zettel nicht mehr gäbe. Bietet eine App die gleichen vielfältigen Verwendungen? Müsste man Eselsohren in die Kochbücher knicken und sich die Passwörter alle einfach so merken? Mir ist bewusst, dass es technische Möglichkeiten gibt, welche die Aufgaben von Haftnotizen gut und gerne übernehmen können. Auch ich benutze die Erinnerungsapp auf dem IPhone täglich, meine Lieblingsrezepte sind auf dem Handy mit einem Herzen versehen und ein Passwortmanager merkt sich die verschiedenen Logins. Und doch, die farbenfrohen Zettel möchte ich nicht missen. Ich werde meiner Mitbewohnerin weiterhin auf diesem Weg «Viel Glück» für die Prüfung wünschen und die wichtigsten To-Dos meines Tages darauf kritzeln, um sie danach an meinem Arbeitsplatz an den Bildschirm zu kleben. Sei es auch nur, dass mein Blick ein paar Sekunden länger daran haften bleibt und ich mich an den Farben erfreue.
Larissa Bassin
Larissa Bassin ist 25 Jahre alt und in La Punt Chamues-ch aufgewachsen. Die ehemalige Praktikantin der Engadiner Post studiert an der Universität St. Gallen Rechtswissenschaft mit Wirtschaftswissenschaften. Dabei entdeckte sie, dass sie wohl eher ein Stadtkind ist und schätzt das kulturelle Angebot, die Vielfalt der Menschen, die Anonymität, Abendverkäufe, das Nachtleben und kleine Cafés, die tatsächlich immer Hafermilch im Angebot haben. Nichtsdestotrotz zieht es sie gerade im Winter auf die Pisten, wofür sie die ein oder andere Vorlesung sausen lässt, oder sie wandert auf den Piz Mezzaun, wenn sie den Kopf lüften muss.
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