Foto: Bettina Gugger
Mit meiner Bänkli-Liste, nicht zu verwechseln mit Bucket List, ist es so gekommen, wie ich vermutet habe. Das Leben hat sie überholt – oder in meinem Fall verregnet. Ich habe mich nicht auf die Münsterplattform in Bern gesetzt, auch nicht an den Aarequai in Thun, nicht an die Seepromenade in Neuchâtel. Und wenn die Bank doch mal trocken war, dann befand sich diese Bank in Geist unweit meines Wohnortes- ist eine solche Umgebung nicht mystisch, mysteriös und ja, Sie mögen mir den Kalauer verzeihen, geistreich? Von dieser Bank aus blicke ich auf «meine» vertrauten Hausberge, die meinen Blick eine Kindheit und Jugend lang geprägt haben.
Ich sass also nicht da, wo ich dachte, dass ich sitzen würde. Aber ich beobachtete natürlich trotzdem Menschen, vorzugsweise im Café. Dabei entwickelte ich die Theorie, dass Einzelgänger, insbesondere Einzelgänger aus der Schreibzunft, dieses Ritual benötigen, um sich wieder mit der Gruppe zu verbinden, indem sie ein Update der sozialen Umgangsformen vornehmen, um nicht eines Tages verstossen zu werden, da sie der Bräuche und Sitten des Rudels nicht mehr mächtig sind und daher als artfremd klassiert werden.
So studiere ich also die unforcierten Gespräche der Menschen – Interviews sind ja wieder eine andere Gattung; darin zeigen sich die Menschen von ihrer besten Seite. Dabei sind ja gerade die ungeschliffenen Äusserungen und Gefühlsregungen am interessantesten. Die entlockt man dem Gegenüber übrigens am besten, indem man sich selbst natürlich gibt. Am besten ein bisschen unbeholfen. So habe ich beispielsweise auch herausgefunden, dass sich Unwohlsein in grösseren Gruppen am besten durch demonstratives Zurschaustellen dieser Unsicherheit überwinden lässt – auf jeden Fall sollte man seine Schüchternheit nicht überspielen wollen. Diesen Tipp habe ich aus Alexander von Schönburgs Buch «Die Kunst des stilvollen Verarmens», das vor fast 20 Jahren erschienen ist. Der Autor hat den Tipp wiederum von Paris Hilton. Von Schönburg ist der Bruder von Gloria von Thurn und Taxis und als Spross einer verarmten Adelsfamilie kennt er beide Welten, den Luxus und eben den sozialen Abstieg. Das Buch fand ich in einem offenen Bücherschrank im Spettacolo in Thun, als ich mir Gedanken darüber machte, wie ich den Monat über die Runden kommen soll, da ich mein Geld für einen langen Tisch ausgegeben hatte, um künftig Gäste zu empfangen. Ich erwies mich als ideale Schülerin im stilvollen Verarmen. Denn das ist auch eines der Credos: Auch wenn man pleite ist, kann man noch Gäste bewirten; für Spaghetti reicht’s immer, auch wenn man dafür die Kreditkarte überziehen muss.
Ich komme vom Hundertsten ins Tausendste; Schreiben entpuppt sich immer wieder als schöne Methode, um sich reich zu fühlen. Angefangen auf einer Parkbank. Bei dieser Gelegenheit können wir ruhig noch etwas beim Thema Geld bleiben. In letzter Zeit werde ich öfters gefragt: «Wie viel verdienst du denn?» Ich frage mich natürlich, warum ich das gefragt werde. Strahle ich besonderen Reichtum oder besondere Bedürftigkeit aus? Bis jetzt hat sich noch niemand anerboten, mir unter die Arme zu greifen. Also strahle ich wohl eher Reichtum aus? Nun, die Frage ist interessant, da im Wort «verdienen» die Dienerschaft steckt. So heisst es: «Jeder bekommt das, was er verdient». Für Journalisten trifft das zu. Ich meine jetzt nicht die MeToo-Fälle und viele verdienen auch nicht, was sie bekommen, sie verdienen nämlich zu viel, für das, was sie effektiv leisten - dort wo die Schlagzeile die Recherche ersetzt.
Viele hart arbeitenden Menschen in diesem Land verdienen eindeutig zu wenig, gerade in der Gastronomie und Hotellerie. Die Menschen, die anderen das Gefühl geben, reich zu sein, müssen oft finanziell unten durch und erfahren viel zu wenig Wertschätzung.
Darüber sollten wir nachdenken, wenn wir im Café sitzen: Was gebe ich? Gebe ich genug?
Alexander von Schönburg: "Die Kunst des stilvollen Verarmens. Wie man ohne Geld reich wird." Rowohlt Berlin, 2005
Alexander von Schönburg: "Die Kunst des stilvollen Verarmens. Wie man ohne Geld reich wird." Rowohlt Berlin, 2005
Bettina Gugger
Bettina Gugger verbrachte die letzten Jahre im Engadin, zuletzt war sie Redaktorin bei der «Engadiner Post/Posta Ladina». Nun hat es sie wieder einmal ins Unterland verschlagen, wo sie für den «Anzeiger Region Bern» über das kulturelle Leben Berns berichtet. 2018 erschien ihr Erzählband «Ministerium der Liebe». 2020 folgte «Magnetfeld der Tauben». Im Rahmen eines Stipendienaufenthaltes in Klosters entstand der Kalender «Kunst BERGen», der 24 literarische Texte über Kunst versammelt. Auf bettinagugger.ch veröffentlich sie regelmässig kurze lyrische Prosatexte und einen Podcast für praktische Lebensfragen.
Diskutieren Sie mit
Login, um Kommentar zu schreiben