Ja, auch ich schaue ab und zu fern. Am liebsten lasse ich mich von Musik-Dokumentationen berieseln und frage mich, wie ich es vermasseln konnte, nicht auch weltberühmt zu werden. Gleichzeitig inspirieren mich diese Persönlichkeiten mit ihren ungewöhnlichen Talenten und Geschichten. Mittlerweile häufen sich Biografien von Poplegenden auf Netflix und Co. Auch das Schweizer Fernsehen lässt uns tiefer in die Leben unserer heimischen Musikstars blicken.
Es ist mir bewusst, dass man von einem Popstar keine Zitate aus Dante, sinnreiche philosophische Exkurse oder tiefgreifende Lebensweisheiten erwartet. Trotzdem haben mich jüngst einige Dokumentationen erschüttert. Besonders da wir wissen, welchen Einfluss diese Szene auf Jugendliche hat.
Robbie Williams sieht man zum Beispiel ganze vier Folgen gealtert mit Unterhosen in seinem Bett. Er reflektiert über sein Leben als Popstar, in dem vor allem Sex und Drogen regiert haben. Celine Dion zeigt sich in ihrer Serie auf Prime TV «I am: Celine Dion» staubsaugend, zwanghaft, zerbrechlich. Am schlimmsten fand ich eine Aussage von Bill Kaulitz: Der «Tokio Hotel» Sänger verkündet ernsthaft, dass er Partner bevorzugt, die ihn schlecht behandeln. Je schlechter er behandelt wird, desto interessierter ist er an einer Liaison! Danach klatscht er stolz in die Hände, weil er und sein Bruder es tatsächlich geschafft haben, einen Pfannkuchen zuzubereiten. Oder war es eine Waffel? Keine Ahnung, ich habe vergessen, um was es in dieser Dokumentation wirklich ging. Um Musik?
Auch deprimierend fand ich die SRF-Dokumentation «Sex, Songs & Business-Knatsch» über «Dabu Fantastic», eine der momentan bekanntesten Schweizer Bands. Darum gehts: Dabu Bucher, der 43-jährige Sänger, hat sich verknallt und Hals über Kopf seine langjährige Partnerin verlassen. 60 Minuten lang tauchen wir vorwiegend in dieses Thema ein. Wir erfahren, wie geil der Sex mit der neuen Frau ist, wie Dabu so eine starke Verbindung noch nie gefühlt hat und so weiter und so fort. Es stinkt zum Himmel nach Dopamin, Thrill und rosarote Brille.
Zu allem Übel wird in fast allen Szenen dieser männerdominierten SRF-Dokumentation Alkohol konsumiert. Sehen die Produzenten keine Notwenigkeit, etwas mehr Verantwortung und Inspiration in die Welt zu tragen? Oder sind nur meine Erwartungen an die Popmusik zu hoch?
Bibi Vaplan
Bibi Vaplan (geboren 1979) ist im Engadin aufgewachsen. Das Klavierstudium an der Zürcher Hochschule der Künste schloss sie 2005 mit dem Lehrdiplom ab. Schon während des Studiums komponierte sie für Filme und Theater (u.a. für Vitus). Stilistische Grenzen waren schon immer ein willkommener Grund, über den Zaun zu schauen. Bibi Vaplans Konzerte und ihre mediale Präsenz, zum Beispiel im «Kulturplatz», bei «Glanz und Gloria» oder auf dem Traktor unterwegs für «Jeder Rappen zählt!» machten die Engadiner Künstlerin schweizweit bekannt. Ihr neuestes Projekt, die «Popcorn-Opera» startete am 6. November 2020.
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