Foto: https://runologie.run/run-with-us/the-laboratory-run-club/
Die Beine schmerzen, die Atmung geht schnell, die Arme schwingen mit und ein gleichmässiges, dumpfes Geräusch ist zu hören, wenn meine Laufschuhe über die Strasse rollen. Das T-Shirt ist nass von Schweiss und Regen, der Zopf ist schon lange keiner mehr, die Haare hängen mir ins Gesicht. Die nächste Verpflegungsstation ist schon in Sichtweite und mein ausgetrockneter Mund freut sich auf etwas Wasser, bevor ich den letzten Teil des Rennens in Angriff nehme. Noch vier Kilometer des Münchener Halbmarathons liegen vor mir und ich frage mich in diesem Moment: Was mache ich hier eigentlich? Aber ich bin nicht die Einzige, die vom Lauffieber gepackt ist.
Woher kommt dieser plötzliche Hype ums Joggen? Frühmorgens oder nach Feierabend wimmelt es in den Stadtparks dieser Welt von Sportler:innen, die, ausgerüstet mit einer Sportuhr, die ihre Fortschritte misst, ihre Runden drehen, zu zweit oder allein, mit Musik oder ins Gespräch vertieft, dem nächsten Runner’s High entgegen. Das ist ein euphorischer Zustand, in dem das Laufen leicht fällt, man die Anstrengung vergisst und ewig weiterlaufen könnte. Abgerundet wird das Lauferlebnis durch zahlreiche Trainings-Apps, mit denen man sich einen individuellen Trainingsplan zusammenstellen, seine Leistung tracken oder seine Läufe mit Followern teilen kann.
Am Wochenende treffen sich die Läufer:innen, die ihren Sport lieber in der Gruppe ausüben, in ihrem Laufclub. Es ist kein Verein im herkömmlichen Sinn, sondern eine immer grösser werdende Zahl von Laufbegeisterten, die sich am Sonntagmorgen zwanglos treffen, eine Runde laufen und anschliessend gemeinsam ihren Matcha Latte in der Sonne trinken. Währenddessen wird über anstehende Laufevents, neue Sportuhren, Trinkwesten, Schuhe oder andere Gadgets gefachsimpelt.
Es scheint nicht mehr nur um den Sport an sich zu gehen, sondern um eine ganze Lebenseinstellung. Das Laufen wird perfektioniert und greift auf viele andere Lebensbereiche über: Freunde, Ernährung, Urlaub, Kleidungsstil... Man GEHT nicht joggen, man IST joggen. Und diese ganze Community, mit der man Fortschritte und Herausforderungen teilt, auf die Erfahrungen Gleichgesinnter zurückgreift, sich austauscht und sich gemeinsam zu neuen Höchstleistungen antreiben lässt, gibt wohl auch so etwas wie Geborgenheit und Zugehörigkeit. Für manche ist es sogar sinnstiftend.
Ich für meinen Teil habe meine Teilnehmermedaille zwar kurz übers Bett gehängt, dann aber ziemlich schnell die Lauf-Apps vom Handy gelöscht, die Sportuhr gar nicht mehr ans Ladekabel angeschlossen und die restlichen Energie-Gels würde ich auch verschenken.
Larissa Bassin
Larissa Bassin ist 25 Jahre alt und in La Punt Chamues-ch aufgewachsen. Die ehemalige Praktikantin der Engadiner Post studiert an der Universität St. Gallen Rechtswissenschaft mit Wirtschaftswissenschaften. Dabei entdeckte sie, dass sie wohl eher ein Stadtkind ist und schätzt das kulturelle Angebot, die Vielfalt der Menschen, die Anonymität, Abendverkäufe, das Nachtleben und kleine Cafés, die tatsächlich immer Hafermilch im Angebot haben. Nichtsdestotrotz zieht es sie gerade im Winter auf die Pisten, wofür sie die ein oder andere Vorlesung sausen lässt, oder sie wandert auf den Piz Mezzaun, wenn sie den Kopf lüften muss.
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