Gemäss meiner eigenen Vorgabe, mich per blinder Wahl einem der 107 Essays von Michel de Montaigne zu widmen, sollte ich heute «Über die Knabenerziehung» schreiben.
«Was hat das eigentlich für einen Sinn», fragen Sie sich, «dieses Schwadronieren, und Nachdenken über alltägliche Begebenheiten und Probleme – haben wir denn nicht ernsthafte Probleme?!» Michel de Montaigne, Essayist der ersten Stunde, schreibt in seinem Vorwort zu seiner umfangreichen Textsammlung: «Dieses Buch, Leser, gibt redlich Rechenschaft. Sei gleich am Anfang gewarnt, dass ich mir damit kein anderes Ziel als ein rein häusliches und privates gesetzt habe. Auf deinen Nutzen war mein Sinn hierbei ebenso wenig gerichtet wie auf meinen Ruhm…» Das Buch richte sich an seine Familie und Freunde, um das Bild, das sie sich von ihm machen, zu vervollständigen und zu bewahren. In diesen ersten Sätzen klingt bereits an, dass es Montaigne darum geht, das Leben zu ergründen und es so zu gestalten, dass er vor sich selbst und den anderen bestehen kann. Das moralische Handeln steht im Zentrum seiner Gedanken, wobei er nicht einfach auf gesellschaftliche Normen und Erwartungen zurückgreift, sondern sie bewusst hinterfragt. Das bemerkenswerte seiner Essays liegt in seiner ungeschönten Offenheit, mit der er «seine Fehler frank und frei aufzeichnet» und von seiner «ungezwungenen Lebensführung» erzählt, soweit die Rücksicht auf die öffentliche Moral dies erlaube.
In diesem Sinne folge ich Montaigne als Suchende, als Zeitzeugin, die sich selbst als Material zur Verfügung stellt.
«Was hat das eigentlich für einen Sinn», fragen Sie sich, «dieses Schwadronieren, und Nachdenken über alltägliche Begebenheiten und Probleme – haben wir denn nicht ernsthafte Probleme?!» Michel de Montaigne, Essayist der ersten Stunde, schreibt in seinem Vorwort zu seiner umfangreichen Textsammlung: «Dieses Buch, Leser, gibt redlich Rechenschaft. Sei gleich am Anfang gewarnt, dass ich mir damit kein anderes Ziel als ein rein häusliches und privates gesetzt habe. Auf deinen Nutzen war mein Sinn hierbei ebenso wenig gerichtet wie auf meinen Ruhm…» Das Buch richte sich an seine Familie und Freunde, um das Bild, das sie sich von ihm machen, zu vervollständigen und zu bewahren. In diesen ersten Sätzen klingt bereits an, dass es Montaigne darum geht, das Leben zu ergründen und es so zu gestalten, dass er vor sich selbst und den anderen bestehen kann. Das moralische Handeln steht im Zentrum seiner Gedanken, wobei er nicht einfach auf gesellschaftliche Normen und Erwartungen zurückgreift, sondern sie bewusst hinterfragt. Das bemerkenswerte seiner Essays liegt in seiner ungeschönten Offenheit, mit der er «seine Fehler frank und frei aufzeichnet» und von seiner «ungezwungenen Lebensführung» erzählt, soweit die Rücksicht auf die öffentliche Moral dies erlaube.
In diesem Sinne folge ich Montaigne als Suchende, als Zeitzeugin, die sich selbst als Material zur Verfügung stellt.
Nun würde ein Blog über die Knabenerziehung eventuell politisch ausarten, da ich nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann. Also widme ich mich heute erstmal der «Macht der Phantasie». Heute verbinden wir mit Phantasie die überbordernde Vorstellungskraft der Kinder, das Eintauchen in Träumereien, das Kreieren neuer Welten im Bereich der Kunst, die zündende Idee zur Gründung eines Start-ups. Montaigne versteht die Phantasie als Vorstellungskraft, die eng mit unserem vegetativen Nervensystem (das jene Abläufe im Körper regelt, die sich willentlich nicht steuern lassen) verbunden ist und weniger als Gabe, die uns ermöglicht, uns beispielsweise ein Fabelwesen vorzustellen. Montaigne spricht davon, wie Halluzinationen den Körper «rütteln und schütteln, so dass wir manchmal daran zu sterben wähnen». Oder er führt die «saft- und kraftstrotzenden Jünglinge» an, die sich «mitten im Schlaf derart erhitzen, dass sie traumumfangen ihre Liebesbegierde stillen…» Montaigne spricht aber auch von einer Begegnung mit einem alten Mann, der bis zu seinem 22. Lebensjahr für ein Mädchen gehalten wurde und dem «durch die Anspannung eines Sprungs plötzlich seine männlichen Geschlechtsteile hervorschnellten». In jener Gegend, schreibt Montaigne, werde ein Lied gesungen, das die Mädchen vor «ausgreifenden Schritten» warnten, um nicht zum Burschen zu werden. Anti-Feministen würden aus dieser Anekdote eine Warnung herauslesen, dass Frauen, die zu hoch hinauswollen, an Weiblichkeit einbüssen. Dieser Angst begegnen heute auf Social Media die Tradwives, in dem sie ein Leben als Mutter und Hausfrau propagieren.
Der Autor hätte sich ungläubig die Augen gerieben, hätte ihm jemand von den Transitionen der Zukunft erzählt, die mittels Hormonbehandlungen und Operationen von statten gehen. Eine Geschlechtsangleichung durch einen Sprung scheint da wesentlich einfacher zu sein.
Der Autor hätte sich ungläubig die Augen gerieben, hätte ihm jemand von den Transitionen der Zukunft erzählt, die mittels Hormonbehandlungen und Operationen von statten gehen. Eine Geschlechtsangleichung durch einen Sprung scheint da wesentlich einfacher zu sein.
In all seinen Beispielen, die Montaigne für die «Macht der Phantasie» anführt, spielen Mechanismen wie Suggestion und Konditionierung eine grosse Rolle. Da ist beispielsweise eine Frau, die beim Essen vermeintlich eine Nadel verschluckte, und vom Arzt dadurch geheilt wird, dass dieser die Patientin erbrechen lässt und in das Erbrochene heimlich eine Nadel wirft. Heute nutzen wir diese Technik der Suggestion unter dem Begriff Placebo-Effekt. Am mächtigsten scheint für Montaigne die Phantasie auf dem Gebiet der Sexualität zu sein. Montaigne erkannte, dass die «Phantasie», er spricht auch von «Seele», hinter Potenzproblemen steckt und nicht etwa körperliche Defizite. Die Frauen tragen nur insofern Schuld, wenn sie «die verfolgte Unschuld spielen, und den Mann mit kratzbürstigem Gehabe empfangen», denn dies entfache und lösche zugleich das männliche Feuer. Montaignes Ausführungen werden noch expliziter, ich verzichte auf das wörtliche Zitat. Die männliche Lust dränge sich vor, wenn sie nicht sollte, und flache ab, wenn sie gebraucht werde. Wie beim Erröten löst der Gedanke an die unerwünschte Reaktion genau diese aus. Und ist es nicht grundsätzlich so im Leben, dass wir oft das erhalten, was wir nicht wollen und das, was wir wollen, nicht bekommen?
Während ich so über Montaignes Ausführungen nachdenke, entdecke ich auf LinkedIn einen Post eines Engadiner Coaches, der mit einer kleinen erotischen Ausführung (Hoppla!) auf sein Coaching-Angebot im Bereich der Sexualität hinweist. Als Experte für Leadership bietet er u.a. Männercoachings an. Er zeigt aber auch Frauen, wie sie ihre Limitierungen überwinden. Nun habe ich genügend Stoff für den nächsten Blog über die «Knabenerziehung» und bin gespannt darauf, zu erfahren, ob Montaigne auch ein Männercoach war.
Und ich denke weiter über die Frage nach, ob es überhaupt sinnvoll ist, das zu bekommen, was man unbedingt will. Liegt nicht der Schlüssel darin, das zu wollen, was man bekommt? Dann bekommt man eines Tages vielleicht tatsächlich das, was man will.

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