Lanciert hat Nina Mayer ihre Karriere am selben Ort wie Tina Turner oder Beyoncé – im Kirchenchor. Vier Jahre alt war sie damals, und der Chor war derjenige der St.-Ludwig-Spatzen in Oberau in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen in Bayern. Aufgewachsen ist Nina Mayer in einem durchaus musikalischen Haushalt, obwohl ihre Eltern Ärzte waren. Die Mutter liebte und hörte klassische Musik, kannte aber auch zu jedem Stichwort einen Schlager. «Ich will ’nen Cowboy als Mann» beispielswei­se von Gitte. In welchem Zusammenhang dieses Lied der Mutter in den Sinn kam, ist nicht mehr ganz zweifelsfrei überliefert. «Liebeskummer lohnt sich nicht» von Siw Malmkvist sei ebenfalls ein Lied gewesen, das Mutter gerne gesungen habe. Nina bekam seit ihrem fünften Lebensjahr Geigen- und seit dem siebten Lebensjahr Klavierunterricht.

Später besuchte sie von der 5. bis zur 13. Klasse das Benediktiner-Gymnasium Ettal, sang dort im Schulchor und durfte bereits mit 13 Jahren ihr erstes Solo in der Klosterkirche singen, das «Laudate Dominum» von Mozart. Bald war sie sich sicher, dass sie Gesang studieren möchte, sagt Nina Mayer, die ursprünglich Hoffmann hiess und deren Vorname die Abkürzung des eigentlichen Taufnamens «Katharina» ist.

Studium bei Kammersängerin
Dazwischen kam allerdings das Leben, denn nach der Matura wurde Nina Mutter einer Tochter und mit einem Hochschulstudium war deshalb erstmal nicht viel. Dafür konnte Nina zwei Jahre lang privat bei Helena Jungwirth studieren, ihres Zeichens Bayerische Kammersängerin und Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper, wo sie unter anderem als Cherubino und Marcellina in «Nozze di Figaro», als Siegrune in «Walküre» oder als Giovanna in «Rigoletto» reüssierte. Für Nina jedenfalls war dies eine sehr gute Zeit, auch weil sie da bereits mit der Tochter regelmässig die Ferien im Engadin verbrachte, besser gesagt bei ihrem jetzigen Ehemann, einem Ramoscher. Diesen hatte sie im Element Store in Scuol kennengelernt, als sie in den alljährlichen Skiferien im Unterengadin war. Da bald klar war, dass Nina Mayer ihren Lebensmittelpunkt dereinst in dieses schöne Tal verlegen würde, entschied sie sich gegen das Gesangsstudium. Stattdessen studierte sie Musik für Lehramt am Gymnasium mit Hauptfach Klavier und Nebenfach Geige an der Hochschule für Musik und Theater in München. Ein sehr aufwendiges Studium, wie sie glaubhaft erklärt. Und eine harte Zeit für Nina Mayer und ihre Tochter, die sich eigentlich viel wohler im Engadin als in München fühlten. Sie habe ein Semester studiert, das zweite schon nur noch «anstudiert» und dann aufgehört, sagt sie. Alsbald zog sie ins Engadin, heiratete ihre Ferienliebe aus Ramosch und brachte ihre zweite Tochter zur Welt.
Ihre Familie war eher nicht so begeistert über den Umzug ins Engadin, weil sie Angst um die kulturelle Zukunft ihrer Tochter hatte.

Chöre im Unterengadin ...
Doch Nina wischte diese mit leichter Handbewegung und ihrem strahlenden Lächeln zur Seite und begann nach und nach, Schüler und Schülerinnen an diversen Instrumenten und in Gesang zu unterrichten. Dank Mundpropaganda wurden es schnell mehr, und 2007 fragte Roberto Donchi, der Leiter der hiesigen Musikschule, an, ob sie nicht dort unterrichten wolle. Sie wollte und ist seitdem an der Musikschule Unterengadin/Val Müstair als Lehrerin für Stimmbildung und Grundkurs Musik angestellt. Schnell hat sie auch gemerkt, wie tief verankert die Gesangskultur hier im Tal ist, was auch ihre Familie wieder etwas beruhigte und heutzutage sehr freut. Von 2006 bis 2019 leitete sie den Coro masdà Ramosch, später Valsot, und hat dadurch viel von dieser Gesangskultur mitbekommen und profitiert. Heute leitet sie den Cor Minis, einen Kinderchor für Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren, und den Cor Kids, mit Kindern von der 1. bis zur 4. Klasse. Wohl könnten gerade die Kleinen noch keine Noten lesen, dafür seien sie ungeheuer enthusiastisch und sängen die Lieder nach zweimal Vorsingen schon richtig gut mit. Auch ist sie Lehrerin für Musik an den Primarschulen Tarasp und Ftan und an der Steinerschule in Scuol. Ausserdem ist Nina Teil des Duos Mi’amia, das sie mit ihrer Freundin Sidonia Caviezel 2016 gegründet hat. Die beiden singen selbst-komponierte romanische Lieder.
Dies alles macht Nina Mayer neben dem Familienleben, das sie gemeinsam mit ihrem Mann und den beiden Kindern sehr geniesst. 

… und bei Scuol Classics
Allerdings dürften Kinder und Mann die Mutter respektive Ehefrau noch bis Mitte Juni eher etwas weniger sehen. Denn Nina Mayer ist dann mit Cinzia Regensburger im Einsatz, Chorleiterin des Unterengadiner Ad-hoc-Chors, welcher vom 13. bis 16. Juni in der Eishalle Gurlaina den Schlusschor der 9. Symphonie von Beethoven aufführt. Aus der Gegend singen dabei rund 50 Leute mit, darunter ein Grossteil des Cor Viril (Männerchor) Scuol, welchen Cinzia und sie bei einem Probenbesuch zum Mitmachen animieren konnten, erläutert Nina augenzwin­kernd. Dazu kommen noch 77 Sänger und Sängerinnen aus San Francisco und 40 bis 50 Orchesterleute, ebenfalls von dort. Dies weil Urs Leonhard Steiner, ursprünglich aus Graubünden, aber schon seit vielen Jahren in San Francisco wohnhaft, das Golden Gate Symphony Orchestra samt Chor leitet und gemeinsam mit Cinzia Regensburger und Nina Mayer für die grosse Aufführung Mitte Juni verantwortlich zeichnet.

Zu dieser Aufgabe sei sie gekommen, weil sie bei einem von Cinzia inszenierten Musical, «Musical a Scuol», mitgespielt habe und mit Mi’amia bei verschiedenen von Cinzia organisierten Veranstaltungen gesungen habe. Auch gab Nina Cinzia bereits Gesangsstunden und Cinzia Nina Klavierstunden. Dabei hätten sie gemerkt, dass sie ein gutes Team sind, und Cinzia habe sie deswegen für dieses Projekt angefragt, worüber Nina sehr glücklich ist, weil ihr die Arbeit mit dem Ad-hoc-Chor riesigen Spass macht.

Den Sängerinnen und Sängern kann Nina nun nicht nur Noten und Dynamik näherbringen, sondern auch viel über die eigene Stimme mitgeben. Schliesslich ist sie seit 2017 diplomierte Stimmtherapeutin und setzt mittlerweile darauf, dass jede Stimme so einzigartig wie der Fingerabdruck ist und so sein darf, wie sie ist. Diese Einsicht habe sie persönlich sehr befreit, und seither verspüre sie eine viel grössere Leichtigkeit als Sängerin. Selbstredend, dass sie das auch ihrem Chor mitgeben kann. Das Resultat lässt sich dann in der Eishalle Gurlaina hören, deren Akustik Urs Leonhardt persönlich überprüft habe, wie Mayer versichert. 
Und wer weiss, ob sich dank der neuen Leichtigkeit in der Stimme dereinst noch andere Parallelen zwischen Nina, Tina und Beyoncé ergeben, als bloss die ersten Stunden im Kinderchor. 

Autor: Jürg Wirth

Dieser Artikel ist erstmals im Unterengadiner Gästemagazin «Allegra» erschienen.