Cristian Gees, Umweltwissenschaftler und Mitarbeiter des Ökobüros Ecowert, befasst sich im Rahmen der ökologi­schen Begleitung der Revitalisierungen mit invasiven Neophyten. Angelika Abderhalden, sie ist Geschäftsleiterin Pro Terra Engiadina, und Ralf Fluor, Revierförster von La Punt Chamues-ch, sind sogenannte KAFINs beziehungsweise Kommunale Ansprechperson für invasive Neophyten. Diese werden auf die Problematik invasiver Pflanzenarten hin geschult und sind in ihrer Region zuständig für die Erkennung und allfällige Bekämpfung von sich ausbreitenden Neophyten. 

Doch was sind invasive Neophyten und was ist denn überhaupt proble­matisch, wenn sich etwa die wunderschön farbige Lupine im Engadin ausbreitet? Diese Frage stand am Anfang der gut besuchten Exkursion, die auf einer vom hochführenden Wasser des Inn umspülten Geröllzunge bei Isellas begann. Mittels grossen Farbtafeln und ausgegrabenen Beispielpflanzen zeigten die Referenten die Grundproblematik auf. 

Lupine, schön aber sehr invasiv
Der Weidenspezialist Ralf Fluor hielt einen Zweig der Lorbeerweide in die Luft, die bereits die weissen wollartigen Blüten trug. Diese Weidendart ist für die Beverser Innauen charakteristisch und erfüllt hier eine wichtige ökologische Rolle in den dynamischen Auenhabitaten. In Nordamerika ist diese Weidenart hingegen ein Neophyt, der nach 1492 durch Menschenhand dort eingeschleppt wurde. 

Bei der Lupine ist es genau umgekehrt, dieser aus der Westküste Nordamerikas stammende Hülsenfrüchtler gelangte Mitte des 19. Jahrhunderts als Zierpflanze nach Europa. Dort hat sie sich vor allem durch den Anbau in Gärten in den letzten Jahrzehnten bis in die subalpine Stufe gebietsweise stark ausgebreitet. Die krautige Pflanze erhielt auf der vom Bundesamt für Umwelt 2022 herausgegebenen schwarzen Liste das Label «invasiver Neophyt».

 Wenn eingeschleppte Pflanzen sich stark ausbreiten, können sie die einheimische Flora verdrängen und grossen ökologischen Schaden anrichten. Der Grund ist einfach zu erklären: da diese Arten nicht in den hiesigen Ökosyste­men eingebettet sind, fehlen die ökologischen Gegenspieler wie spezialisierte Pflanzenfresser oder Parasiten, welche die massenhafte Vermehrung in Schach halten würden. In der Schweiz sind 56 Arten von insgesamt 750 Neophyten nachweislich invasiv und schädlich. Im Engadiner Hochtal sind es deutlich weniger. Im Oberengadin gelten aktuell vor allem zwei Arten als problematisch und werden aktiv bekämpft. Neben der Vielblättrigen Lupine ist es der Riesenbärenklau. Diese hochgiftige, sehr grosse Krautpflanze wird intensiv bekämpft (siehe Giftpflanzenbeitrag in der EP/PL vom 18. Juni). Mittels Spatenstichen durchs Wurzelwerk soll deren Ausbreitung möglichst im Keime erstickt werden, denn sie bergen durch ihre lichtabhän­gige Toxizität auch ein gesundheit­liches Risiko. Dass die Bekämpfung Wirkung zeigt, belegte Ralf Fluor mit dem Hinweis, dass er eigentlich eine Beispielpflanze eines Riesenbärenklaus mitbringen wollte, aber keine gefunden habe. 

Aufwendige Bekämpfung
Bekämpfung ist aber nicht so einfach, wie es tönen mag. Insbesondere bei der Lupine zeigt es sich, wie aufwendig und oft mit zweifelhaftem Erfolg eine mechanische Bekämpfung ist. Man muss die leicht giftige Pflanze mit Handschuhen samt Wurzelwerk ausreissen und sachgerecht entsorgen. Das sollte vor der Samenbildung erfolgen, welche je nach Standort und saisonal sehr unterschiedlich verläuft. Im Bereich der Beverser und Samedner Innauen werden – koordiniert durch das Amt für Natur und Umwelt und die Gemeinden Samedan und Bever – mit grossem Aufwand und der Aufbietung von Zivildienstleistenden und Schulklassen tage- und wochenweise die Ausbreitung der Lupinen bekämpft. 

Das kostet ausserdem viel Geld. Dass hier die Aktionen in den Vorjahren wirksam waren, zeigt jedenfalls das Bild am Exkursionstag: Blühende Lupinen waren nur noch vereinzelt zu finden, während vor Jahresfrist entlang der Böschungen der Hochwasserschutzdäm­me ganze Lupinenhaine wuchsen. Aktuell werden die Lupinen auf dem Samedner Gemeindegebiet bekämpft, während die Auen in Bever erst ab Mitte Juli und im August an der Reihe sind. Grund sind die Kiesbank–Habitate, wo sensible Vogelarten wie der Flussregenpfeifer und der Flussuferläufer brüten und diese daher erst nach der Brutzeit betreten werden sollten. 

Cristian Gees verwies auf die Situation weiter talaufwärts, im Bereich der Ova da Bernina und Montebello. Dort überwachsen so enorme Mengen an Lupinen die Ruderalflächen entlang der Gewässer, dass eine wirksame Bekämpfung schlicht nicht zu bewältigen wäre. Was also zu tun ist, hängt von vielen Faktoren ab, die auch Begriffe wie Verhältnismässigkeit und Effizienz mit einbeziehen müssen, so Gees. 

Natur kann sich auch selber helfen
Glücklicherweise und typisch bei Exkursionen der Engadiner Naturfor­schen­den Gesellschaft, meldeten sich auch Kennerinnen zu Wort. So Romedi Reinalter, ausgewiesener Botaniker mit grossem Wissensfundus über die Engadiner Pflanzenwelt. Er erwähnte eine weitere Beispielpflanze, das Felsengreiskraut, das um 1850 hier einwanderte und sich invasiv verbreitete, heute zwar noch verbreitet vorkommt, aber nicht mehr als problematisch gilt. Eine erfolgreiche Integration sozusagen. Er erwähnte weitere Beispiele von Arten, die nach einer Ausbreitungswelle sogar wieder ganz verschwunden sind. 

Mit Blick auf die Zukunft heisst dies, dass den Ökosystemen durchaus einiges zuzutrauen ist, was deren Resilienz gegenüber Störfaktoren wie invasive Arten es eben sind, anbetrifft. Das funktioniert aber nur in vielfältigen, intakten Ökosystemen. Besonders schön zum Abschluss der Exkursion war daher der Blick auf die grossräumig renaturierten Auenlebensräume bei Bever, die ein wunderbares Beispiel für intakte Ökosysteme sind. 

Autor: David Jenny