Heute stehen die Firmen Hatecke und Zanetti für die Produktion von Würsten, Frisch- und Trockenfleisch im Unterengadin. Damit stehen sie quasi in einer langen Reihe von Fleischproduzenten, die tatsächlich bis in die Bronzezeit zurückreicht. Dass dies heute bekannt ist, ist auch dem Architekten Jon Armon Rauch zu verdanken, wenn auch nicht ganz freiwillig. Er machte sich im Jahr 2008 daran, im Gebiet Avant Muglins in Scuol Sot auf 690 Quadratmeter fünf Reihenhäuser zu bauen. Beim Ausheben der Baugrube fiel ihm dann in vier Metern Tiefe eine dunkle Erdschicht mit Holzkohlen und Knochen auf, die er als archäologische Relikte deutete. So ist der Fund im Band Nummer 5 von Archä­ologie Graubünden dokumentiert. 

Baustopp zum Ausgraben
Wie gesetzlich vorgeschrieben und durchaus auch aus Verantwortung gegenüber dem geschichtlichen Erbe der Region, informierte Rauch umgehend den Archäologischen Dienst Graubünden. Dieser stellte sofort fest, dass da eine bronzezeitliche Schicht angegraben worden ist. Darauf folgte ein Baustopp, nicht unbedingt zur grossen Freude von Architekt und Bauunternehmer. Doch die beiden Parteien konnten sich auf eine Grabungszeit von fünf Wochen einigen und die an und für sich arbeitslosen Bauarbeiter sollten in der Zeit bei den Grabungen mithelfen, finanziert vom Archäologischen Dienst. Sorgfältig begann das Team das Gelände abzu­tragen und wurde bald schon fündig. Zuerst stiess es auf eine rund 40 Zentimeter starke Brandschuttschicht, bestehend aus Tierknochen, Holzkohle und Asche, darunter dann legten die Arbeiter sechs Gruben frei, deren Böden und Wände durch den Brand rot gefärbt waren, dazu noch Teile eines Unterstandes. Auffällig war der hohe Anteil an Tierknochen im Brandschutt, was die Archäologen bereits vermuten liess, dass es sich hierbei um eine Fleischverarbeitung handeln könnte. Damals, in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., befanden sich die Siedlungen um und auf Munt Baselgia, während man die «Industrie» aufgrund der von ihr ausge­hen­den Brandgefahr eben nach Avant Muglins ausgelagert hatte.

Fleisch gegen Salz
Dass es gleich sechs Gruben sind, hängt damit zusammen, dass die ersten irgendwann durch die Produktion mit Knochen und Brandschutt gefüllt waren und nicht mehr gebraucht werden konnten, weshalb dann neue Vertie­fungen angelegt wurden. Die verarbei­teten Tiere, vornehmlich Rinder und Schweine, wurden vor Ort geschlachtet und verarbeitet. Untersuchungen haben ergeben, dass die Rinder meist sieben Jahre oder älter waren. Dies lässt darauf schliessen, dass sie erst als Arbeitstiere eingesetzt und dann erst zu Fleisch verarbeitet wurden. Die Leute aus der Bronzezeit waren gewissermassen Trendsetter, denn auch heute werden wieder vermehrt ältere Tiere zu Frischfleisch verarbeitet, teils gepaart mit längeren Lagerungszeiten.

Nun war es aber kaum so, dass die Bewohner von Munt Baselgia Unmengen von Fleisch verzehrten und sich deshalb eine eigene Produktion leisteten. Dies jedenfalls die These der Archäologen. Diese gehen vielmehr davon aus, dass mit den Fleischprodukten, ziemlich sicher dürften darunter auch Schinken oder Trockenfleisch gewesen sein, Handel getrieben wurde. So befand sich damals in Hall im Tirol eine grosse Salzmine und in näherer und weiterer Umgebung auch Kupferabbaugebiete. Für die Ernährung der Bergleute dürfte die Produktion der umlie­genden Landwirtschaft nicht gereicht haben, weshalb sie auf die Einfuhr weiterer Lebensmittel angewiesen waren. Eben zum Beispiel Fleisch aus Scuol. Im Gegenzug erhielten die Lieferanten Salz oder Kupfer.

Autor: Jürg Wirth


Dieser Artikel ist erstmals im Unterengadiner Gästemagazin «Allegra» erschienen.