«Niemand interessiert sich für den Iltis. Man sieht ihn nicht, er frisst keine Schafe und kaum Fische und sein Fell ist ohne Wert.» So die einleitenden Wort des Biologen und einzigen Iltis-Spezialisten der Schweiz, Darius Weber. Immerhin hat es der Iltis zur Auszeichnung «Tier des Jahres 2024» geschafft – vielleicht eben gerade wegen seines Mauerblümchendaseins. Denn Pro Natura Schweiz holt mit seinem Label wenig bekannte Tierarten mit voller Absicht ins Rampenlicht. 

Für Darius Weber ist es eine willkommene Gelegenheit, fast 40 Jahre nachdem er seine Doktorarbeit über den Iltis an der Uni Basel schrieb, als Botschafter und gefragter Referent genau das zu tun, nämlich den Iltis ins Rampenlicht zu rücken. Er tat dies kürzlich bei der Engadiner Naturforschenden Gesellschaft in Samedan mit einem wunderbaren, mit Humor garnierten und kenntnisreichen Vortrag über den wenig bekannten Marderartigen, der erst vor kurzem auch im Engadin nachgewiesen wurde.

Kein Sympathieträger?
 Im Oberengadin fand Wildhüter Thomas Wehrli im Dezember 2022 erstmals einen Iltis auf den Fotos seiner Wildkameras, die er eigentlich für Fischotter und Biber platzierte. Das kommt einer kleinen Sensation gleich, denn für das Engadin gab es bisher keine sicheren Nachweise, auch scheint er in früheren Zeiten hier nicht bekannt gewesen zu sein. Der Nachweis lag zudem etwa 100 Meter höher als die bisher höchst gelegenen in der Schweiz. Über die Lebensweise der Iltisse im Engadin wissen wir allerdings noch fast nichts, ausser dass sie – wohl in kleiner Zahl – vorkommen. 

Weber führte aus, warum es aus seiner Sicht mutig war, ausgerechnet den Iltis zum Tier des Jahres zu wählen. Denn nicht nur das fehlende Interesse an diesem Tier, sondern auch sein ausgesprochen schlechter Ruf als vermeintlicher Fischräuber, Hühnerdieb und schmatzender Froschfresser prädestinieren ihn nicht gerade zum Sympathieträger. Doch dann drehte Weber den Spiess um, zeigt ein Iltis-Porträt und meint: «aber er ist sympathischer als jede Heuschrecke». 

Verhalten selbst dokumentiert
Schritt um Schritt beleuchtete Weber die Lebensweise, die erstaunlichen Besonderheiten und mögliche Gefährdungen des mit dem Mauswiesel und dem Hermelin nahe verwandten Kobolds, der etwa so gross sei wie eine Bierflasche. Weil Weber selbst während seinen Studien mittels Radiotelemtrie den Iltis kaum zu Gesicht bekam, hielt er eine kleine halbzahme Iltisgruppe bei sich zu Hause, liess diese im Wald herumspazieren und dokumentierte deren Verhalten. Iltisse vermeiden es, gesehen zu werden, wuseln meist in dichter Vegetation herum und bevorzugen Hecken, kleine Gräben oder Bachläufe um unbemerkt auch grössere Strecken zurückzulegen. Ihre Streifgebiete umfassen vorzugsweise abwechslungsreiche Wald- und Kulturlandflächen und sie schätzen die Nähe zu menschlichen Siedlungen, wo sie in kleinen Ställen, Höfen und Gebäuden auf dem Land Schutz und Nahrung finden. Sie markieren kein Revier, wie es andere Marderartige tun. Mit ihrem hervorragenden Ortsgedächtnis finden sie nahrungsreiche Stellen, die sie immer wieder aufsuchen. 

Frösche und auch Mäuse
Webers Forschungen entlarvten eine ganze Reihe von Mythen über den Iltis, die durchaus auch bei Naturkennern vorherrschten. Iltisse leben nicht etwa in oder an Feuchtgebieten, sondern vor allem im Wald. Sie fressen auch keine Fische, sondern in erster Linie Amphibien, also Frösche und Kröten. Allerdings, so merkte Weber an, sei das für ihn eher eine Notlösung, er sei eigentlich ein Tunneljäger, der auf die Erbeutung von Kaninchen oder Ziesel spezialisiert ist. Diese für ihn optimalen Beutetiere kommen aber in der Schweiz nicht vor. Das Fröschefangen sei nicht allzuschwierig für die nicht sehr agilen Jäger, das Auffinden derselben aber schon. Und in dieser Fähigkeit haben es die Iltisse zur Meisterschaft gebracht. 

 Während der Laichzeit der Frösche leben Iltisse im Schlaraffenland, vorher oder nachher wird es aber schwierig, Beute zu machen. Im Herbst legen sie sich einen Fettvorrat an, fahren im Winter ihre Aktivität auf ein Minimum herunter, suchen sich geschützte Stellen wie Heuschober auf, fressen ab und zu eine Maus und – was sich Weber selbst nicht richtig erklären konnte, wie sie es anstellen – sie graben Frösche und Kröten aus ihren Winterquartieren aus. Sie müssten dazu einen sechsten Sinn haben, denn die in der Winterstarre versteckten Amphibien sind ja teilweise unter dicken Schneeschichten völlig unsichtbar. Die Paarung findet im März/April statt, danach zieht die Mutter ihre bis zu zwölf Junge allein auf und tut dies fast bis zur Erschöpfung. 

Schwierige Bestandsschätzung
An einem Beispiel erläuterte Weber die grosse Anpassungsfähigkeit und Cleverness von Iltissen. Im Basler Zoo, der mitten in der Stadt liegt, räumten Iltisse mit der ganzen Präriehunde-Popu­lation auf. Sie drangen ins Gehege ein und holten die für sie optimalen Beutetiere aus dem Winterschlaf. 

Zum Schluss wurden die Gefahren und die Gefährdung der Iltisse beleuchtet, deren wahrer Bestand kaum richtig zu erfassen ist. Die Zu- oder Abnahme von tot gefundenen Tieren, vor allem Verkehrsopfer, erlauben aber zumin­dest ein Schätzung in der Schweiz. Diese gibt ein Wachstum bis vor etwa zehn Jahren an, seither blieb der Bestand etwa gleich. Auf der Roten Liste wurde er als verletzlich eingestuft, was durch zwei kritische Aspekte begründet ist. Erstens nehmen Amphibien, seine Hauptnahrung, tendenziell ab, und zweitens werden deckungsreiche Strukturen im Kulturland immer seltener. Diese brauchen die Iltisse, um sich von einem zum andern Standort fortbewegen zu können. Gefördert werden können Iltisse durch das Erhalten und Anlegen von Vegetationsstreifen und linearen, natürlichen Strukturen in der Landschaft und natürlich durch den Schutz von Amphibien-Habitaten. 

Autor, Dr. David Jenny, Engadiner Naturforschende Gesellschaft