Sie sind die guten Geister der Berge und im Normalfall eher unsichtbar – die Bergretter. Rettungschef für das Gebiet Unterengadin, bestehend aus den Stationen Zernez, Val Müstair, Scuol und Samnaun der alpinen Rettung Graubünden (ARG), ist Antonin Hugentobler. Im «anderen» Leben leitet er den Forstbetrieb der Gemeinde Scuol.
Rund 100 Leute seien sie in dieser Gegend, gewährt er Einblick in die Rettungsorganisation, darin eingeschlossen die First Responder. In der ganzen Schweiz sind rund 3300 Retterinnen und Retter unter dem Dach der alpinen Rettung Schweiz (ARS) im Einsatz.
Ab und an sieht man im zivilen Leben allenfalls einen Retter oder eine Retterin, erkennbar an der gelben Bergjacke mit dem Rega- und dem SAC-Logo auf dem Ärmel. Denn die ARS ist eine selbstständige, gemeinnützige Stiftung, getragen von diesen beiden Organisationen. Sie wird darüber hinaus von den Kantonen mit Beiträgen unterstützt.
Die ARS ist aufgeteilt in sieben Regionen, welche die ganze Schweiz umfassen, ohne den Kanton Wallis, welcher das Rettungswesen selbst organisiert hat. Heisst also, auch bei einem Velounfall in Einsiedeln oder bei Bergnot im Jura kommt die Bergrettung, wenn es denn nötig ist. Allerdings müssen die Unfälle in jeweils schwer zugänglichem Gebiet passieren, denn das ist das perfekte Einsatzgebiet der Bergrettung, wie es im Leitbild der ARS steht. Für das Gebiet des Kantons Graubünden ist die ARG mit etwa 1100 Retterinnen und Rettern zuständig.
Viele Leute in den Bergen
Fürs Unterengadin trifft das an vielen Orten zu, weshalb die alpine Rettung hier eine besondere Bedeutung hat. Im Sommer hätte das Team viel mit Evakuierungen zu tun, sagt Hugentobler. Dabei rette man Menschen, welche sich beispielsweise am Berg verstiegen haben oder in ein Unwetter geraten sind und nicht mehr weiterkönnen. Zum Glück handelt es sich oft um technisch einfache Fälle, wenn sich zum Beispiel Wanderer auf einem etwas exponierteren Wanderweg einfach nicht mehr weitertrauen. Ab und zu stünden auch Personensuchen an, Abstürze am Berg gäbe es zum Glück nicht so viele.
Im Winter liegt der Fokus auf Lawinenunglücken oder der Suche nach Vermissten, wenn beispielsweise jemand nicht von einer Skitour zurückkommt. Zu sagen, wann es jetzt mehr Einsätze gäbe, sei noch schwierig, bilanziert der Rettungschef: «Da gibt es einen ruhigen Sommer, dafür ist im Winter viel los und im anderen Jahr ist es genau umgekehrt.» Aber alles in allem, so schätzt er, leisten Retterinnen und Retter im Sommer mehr Einsätze. Im Schnitt seien dies rund 25 Einsätze im ganzen Jahr.
Dies hänge auch damit zusammen, dass es immer mehr Leute in die Berge zöge, sagt Hugentobler. Können und Fachwissen hinkten dann teilweise hinterher, was schliesslich in gefährlichen Situationen und Unfällen enden könne. Tatsächlich würden die Unfallzahlen konstant ansteigen, trotzdem verurteilt Hugentobler niemanden und versucht auch nicht zu beurteilen, wenn er an eine solche Situation gerufen wird. «Unsere Aufgabe ist die Rettung, und das machen wir.»
Sicherheit für die Retter
Schluss ist aber dann, wenn die Situation für die Retter zu gefährlich wird. «Die eigene Sicherheit geht immer vor», sagt der Rettungschef. Ein Ansatz, der auch im Leitbild der gesamtschweizerischen Stiftung ARS an erster Stelle steht. Tatsächlich könne es, wenn auch sehr selten, vorkommen, dass man aus Sicherheitsgründen einen Einsatz auf den nächsten Tag verschieben müsse, zum Beispiel aufgrund der Witterungsverhältnisse. Dies seien allerdings sehr schwierige Entscheide, die sorgfältig abgewogen würden.
Erreiche man in einer solchen Situation die Leute in Bergnot, würde man sie so gut wie möglich unterstützen, zum Beispiel mit Anleitungen, um sich selbst vor der Witterung zu schützen. Im Winter könne man sich oft in den Schnee eingraben und so vor der Kälte schützen.
Antonin Hugentobler mag seine Arbeit vor allem, weil sie wichtig ist und interessant, dankbar sei es auch. Er selber geht viel in die Berge, was eine der wichtigsten Bedingungen für die Ausbildung als Bergretter ist. Die weiteren sind ein Mindestalter von 18 Jahren, ein Wohnort in den Alpen, Voralpen oder dem Jura, beruflich abkömmlich zu sein für Rettungseinsätze und der Besuch von Ausbildungskursen. Aktiver Berggänger oder Berggängerin sollte man sein, Mitgliedschaft in einer SAC-Sektion und eine abgeschlossene Rega-Gönnerschaft sind erwünscht. Dann kommen noch eine Reihe sogenannter «Soft-Faktoren» zum Zuge wie Ausdauer, Wetterfestigkeit und alpines Wissen, gepaart mit lokalen Topographiekenntnissen, so steht es auf der Website der Alpinen Rettung Schweiz.
Ausgebildet werden die Retterinnen und Retter in vielfältigen Kursen auf lokaler und regionaler Ebene. Zusätzlich besteht die Möglichkeit zur Ausbildung als Fachspezialisten in den Bereichen Helikopter, Hund – Lawine und Geländesuche – sowie Medizin und Canyoning. Der Rettungschef des Unterengadins hat die Ausbildungen durchlaufen und ist heute selbst als Retter, Einsatzleiter und Fachspezialist Helikopter im Einsatz. Er wird also bei Einsätzen der Rega in schwierigen Gelände hinzugezogen und zum Beispiel vom Helikopter aus am Seil zu Verunfallten hinuntergelassen.
Auch selber viel gelernt
Im Rahmen seiner Ausbildungen habe er sehr viel gelernt und profitiert, darunter auch Kenntnisse erworben, die er privat einsetzen könne. Spaltenrettung oder Hilfe bei einem Lawinenunfall musste er noch nie anwenden, doch medizinische Nothilfe habe er schon mal im privaten Umfeld vornehmen müssen. Geht er selber z’Berg, ist er eher vorsichtiger geworden, ob dem Wissen über all die Dinge, die passieren können. Skitouren macht er noch oft, fürs Eisklettern, das er früher intensiv betrieben hat, fehlt ihm mittlerweile schlicht die Zeit.
Die Rettung sei in Scuol personalmässig super abgedeckt, auch mit vielen Jungen, doch in Zernez könnte die Station noch ausgebaut werden, flechtet er ins Gespräch ein. Die Rettungsstationen organisieren sich individuell, kooperieren aber eng in der Ausbildung und bei grösseren Einsätzen.
Die Alarmierung der alpinen Rettung erfolgt aber immer über die Rega, welche dann ihrerseits die lokalen Retter aufbietet. Dazu nimmt sie mit dem Einsatzleiter vor Ort Kontakt auf, und dieser stellt dann das Team zusammen. In der Station Scuol haben sich die Einsatzleiter im Turnus organisiert, immer eine Woche lang auf Pikett, erklärt Antonin Hugentobler. Schwierig seien die Einsätze bei schweren Unglücken oder gar Todesfällen, wenn die Angehörigen auch vor Ort sind oder gar mit auf der Tour waren, sagt er. Bekannte zu bergen, sei auch nicht einfach, aber leider nicht zu verhindern, wenn man in der Gegend lebe und arbeite. Wichtig sei, dass man nach dem Einsatz eine saubere Nachbesprechung durchführe, damit einem die Arbeit persönlich nicht zu lange belaste, ansonsten gäbe es auch noch Stellen bei der Rega, an die man sich wenden könne. Er selber habe bis jetzt aber noch keine Probleme gehabt, zwar gäbe es schwierige Einsätze, die einem noch ein paar Tage im Kopf blieben, doch dann sei es wieder gut. Dafür erinnert er sich mit Freude an seinen schönsten Einsatz: «Das war im Spätherbst bei einer Evakuation. Am Seil unter dem Helikopter hängend, habe ich einen wunderschönen Sonnenuntergang gesehen, das war grossartig.» Solche Erlebnisse können die schwierigeren auch überlagern und die bösen Geister vertreiben. Auf dass nur die guten Geister übrig bleiben, genauso wie es die Bergretter sind.
Autor: Jürg Wirth
Dieser Artikel ist erstmals im Unterengadiner Gästemagazin «Allegra» erschienen.
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