Betritt man die Wertstoffhalle in St. Moritz, erinnert der Anblick zunächst an ein Secondhand-Geschäft: An einem Pfeiler stehen gebrauchte Fahrräder, Bildschirme und Fernseher stapeln sich in Boxen, in einer anderen Kiste warten alte Geräte auf eine neue Bestimmung, während Kühlschränke und Backöfen ordentlich nebenein­ander stehen. In Rollwagen liegen dutzende Skischuhe, teils einzeln, in einer braunen Tonne tausende Aluminium-Kaffeekapseln und in einer grossen Holzkiste sammeln sich Flaschenkorken. Spätestens jetzt wird klar, dass es sich nicht um ein Secondhand-Geschäft handelt, sondern um die Wertstoffhalle von St. Moritz. Wertvolle Stoffe werden hier gesammelt, aufbewahrt und für die Wiederverwertung vorbereitet. 

Intensive Zeit nach den Festtagen 
Die Festtage rund um den Jahreswechsel sind für die Hotellerie und Gastronomie im Engadin eine besonders arbeitsintensive Zeit. Wo viel konsu­miert wird, fällt dann auch entspre­chend viel Abfall an. Doch nicht nur für die Gastronomie bedeutet dies eine Herausforderung – auch in der Wertstoffhalle in St. Moritz wird während dieser Zeit viel Arbeit geleistet. Hugo Mauderli, der die Halle mit seinem Kollegen Antonio Magnotta betreut, sagt: «Festtage sind immer strenge Tage. Vor allem Glas und Karton werden dann gebracht.» In den Tagen nach den Feiertagen häuft sich vor allem eines: Elektrogeräte. «Viele Geräte wurden durch Weihnachtsgeschenke ersetzt oder werden ungenutzt entsorgt», sagt Mauderli. «Ja, auch das gehört zur Realität.»

Ausleihen anstatt kaufen 
Vor allem Büro- und Haushaltsgeräte jeder Art landen dann in der Halle – oft noch fast neu, lediglich durch Kratzer oder kleine Mängel beeinträchtigt. «Manchmal würde eine kleine Reparatur schon ausreichen», so Mauderli. Auf der Website der Gemeinde gibt es mittlerweile eine Liste von Tipps, wie man diese Geräte noch weiterverwenden kann – sei es über den Secondhand-Laden in St.Moritz Bad, die Brockenstube in Samedan oder die Facebook-Gruppe des Engadiner Flohmarkts. Doch häufig bleibt auch diese Möglichkeit ungenutzt. «Selbst bei diesen Angeboten gibt es einen Überfluss an Waren», erklärt Mauderli. Das eigent­liche Problem sei, dass sich die Gesellschaft zu einer Wegwerfgesellschaft entwickelt habe, so der 55-Jährige. Der eigentliche Lösungsansatz beginne bei der Anschaffung von Geräten. «Wir könnten viele Geräte ausleihen oder ausleihen lassen, anstatt zu kaufen», meint Mauderli. 

Aufwendiges Recycling 
«Rund sieben Tonnen Elektroschrott hatten wir allein vor Weihnachten in der Halle», erklärt Arnold Denoth, Leiter Abfall und Entsorgung der Gemeinde. Im Jahr 2023 waren es insgesamt 55 Tonnen. Viele dieser Geräte enthalten wertvolle Rohstoffe wie Kupfer, Lithium oder Kobalt, die in der Produktion vieler Elektronikartikel unverzichtbar sind. Diese Rohstoffe stammen oftmals aus Ländern wie China und der Demokratischen Republik Kongo, wo der Abbau unter problematischen Bedingungen für Umwelt und Arbeitskräfte erfolgt. 

Tatsächlich könnte ein bewussterer Umgang mit Geräten, die länger genutzt und dann fachgerecht recycelt werden, die Ressourcenschonung enorm voranbringen. In der Wertstoffhalle wird deshalb nicht einfach entsorgt, sondern die Geräte werden nach Untervaz zur Firma Elrec gebracht. Dort werden die wertvollen Rohstoffe – teils von Hand, teils durch mechanische und chemische Prozesse – separiert und für eine erneute Nutzung aufbereitet. «Nicht umsonst heissen diese Materialien ‹seltene Erden› », mahnt Denoth. «Wir sollten dringend sorgsam damit umgehen.» 

Kork – ein unterschätzter Wertstoff 
 Auch Korken, die besonders zu den Feiertagen in grossen Mengen anfallen, landen häufig im Kehricht. «Kork ist ein wertvoller Rohstoff», erklärt Mauderli. Korken werden vor allem beim Verschluss von Wein- oder Champagnerflaschen verwendet, landen aber aufgrund ihrer geringen Grösse und scheinbar geringen Bedeutung oft direkt im Müll. Dabei könnte der Kork recycelt und wiederverwen­det werden. «Kork wird von der Korkeiche gewonnen», weiss Mauderli zu berichten. Eines der grössten Anbaugebiete befände sich in Portugal. «Das Problem dabei ist vor allem der monokulturale Anbau.» Denn die Rinde, aus welcher Kork gewonnen wird, kann nur alle neun bis zehn Jahre geschält werden. Jeder Korken einer Flasche könnte mindestens noch ein weiteres Mal verwendet werden, erklärt der Fachmann. 

Die in St. Moritz gesammelten Korken gehen schliesslich nach Schwerzenbach in eine geschützte Werkstatt. «Dort werden verschiedene Produkte wie Pinnwände oder Bastelutensilien angefertigt», erklärt Arnold Denoth und ergänzt, dass «daraus vor allem auch Korkgranulat für neue Verschlü­sse hergestellt wird.» 

Datenschutz und Entsorgung 
Bei der Polizei oder im Fundbüro eingegangene Wertgegenstände müssen nach einem Jahr fachgerecht vernich­tet werden. Besonders während der Wintersaison gehen Geräte wie Smart­phones oder Kameras verloren. Hier waren es im Jahr 2023 rund 100 Kilogramm Smartphones. Bei einem durchschnittlichen Gewicht von rund 200 Gramm je Gerät seien das um die 500 Smartphones gewesen. 

«Wir sorgen dafür, dass die Geräte nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen sicher und gemäss den Datenschutzvorschriften entsorgt werden», erklärt Mauderli. In einer abschliessbaren Metallbox werden die Geräte aufbewahrt, anschliessend von einer Sicherheitsfirma abgeholt und geschreddert. Die «seltenen Erden» werden auch hier wieder feinsäuberlich recycelt. 

Auch gestohlene Velos, die wieder­gefunden wurden, müssen nach Verstreichen der Frist fahruntauglich gemacht werden. «Natürlich hören wir oft, das könne man doch alles noch nach Afrika schicken», sagt Mauderli. Doch die Menschen dort seien nicht dumm, meint er. Längst würden sie selbst die seltenen Erden aus den Geräten heraustrennen, meistens aber mit giftigen Chemikalien, also wieder unter problematischen Bedingungen für Mensch und Natur. 

Jeder kann einen Beitrag leisten 
Normales Sperrgut wie Möbel, Ski oder Matratzen können natürlich ebenso abgegeben werden. Im vorletzten Jahr waren es rund 170 Tonnen Materialien, die gesammelt wurden. Mauderli und sein Kollege sowie Arnold Denoth als Hauptverantwortlicher setzen sich dafür ein, dass das Bewusstsein immer weiter wächst. «Je besser die einzelnen Stoffe wie Plastik, Glas und Karton sortiert sind, um so qualitativ hochwertigerer Rohstoff kann daraus gewonnen werden», macht Denoth deutlich. «Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, wie viel wertvolle Rohstoffe im Abfall stecken», fügt Mauderli hinzu. 

Ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen könnte nicht nur die Umwelt entlasten, sondern auch einen bedeutenden Beitrag zur Reduktion des globalen Rohstoffverbrauchs leisten. 

Autor: Mayk Wendt