Treffpunkt ist um 8.30 Uhr in Sur En. Mit dem Jeep fahren Beni Marti und Fadri Denoth in Richtung Uina Dadora ab. Die Waldstrasse ist eng und vereist, die Sonne erreicht das Seitental stellenweise während der ganzen Winterzeit über nicht. Die Uina-Schlucht ist im Sommer beliebt bei Wanderern und Bikern, aktuell trifft man hier fast nur die Forstwarte und die Waldarbeiter an, gelegentlich noch den Landwirt, der seine Schafe zuhinterst im Tal hält. 

Seit Ende November fahren die Arbeiter jeden Morgen in die Val d‘Uina. Für einen Holzschlag gezeichnet hat der Förster 350 Kubikmeter für den Standort Tscheppa. Je nachdem kommen noch ein paar Kubikmeter in Curtinatsch dazu. Bis der Holzschlag fertig ist, also vermutlich bis Mitte Februar, werden die Waldarbeiter noch in Tscheppa sein, danach geht es weiter zu einem anderen Akkord im Unterengadin. Zwischen 2000 und 3000 Kubikmeter Holz pro Winter führen sie in der Regel. 

Dreiviertel Stunde Fussmarsch
Gian Denoth fährt jeweils etwas früher los, um die Pferde zu tränken und zu füttern. Mit einem Kaffee empfängt er seine Mitarbeiter kurz vor neun Uhr in der Küche des Hofs – Incarom-Pulver mit heissem Wasser, das auf dem Holzofen erwärmt wurde. Die Milch ist über Nacht in der Glasflasche gefroren. Viel Zeit zum Plaudern bleibt ohnehin nicht. Die vier Pferde, die zum Holzführen eingesetzt werden, sind im Stall des Hofs untergebracht: der Freiberger Nestor, der Percheron Uranie und der Ardener Ariago. Nach der Kaffeepause werden die Tiere aus dem Stall geholt, gestriegelt und gezäumt. Wenige Minuten später geht‘s los. 

Die uralten Holzschlitten sind an der Forststrasse «geparkt». Dort werden die Pferde noch eingespannt. Eine Dreiviertelstunde dauert der Fussmarsch bis zum Akkord. Durch den verschneiten Wald ziehen die Pferde die Schlitten. Die Männer lenken sie stehend oder sitzend auf dem Schlitten. Friedlich wirkt die Atmosphäre. Nur die Glöckchen am Zaumzeug sind zu hören. Bei einer Abzweigung geht es steil einen Waldweg hoch. «Den mussten wir zuerst noch freiräumen», erzählt Beni Marti. Diese Arbeit zahle ihnen niemand.

Geschick und Technik
Die drei Männer sind Landwirte aus Crusch und Tschlin und arbeiten im Winter selbstständig als Waldarbeiter. Bezahlt werden sie von der Gemeinde Scuol. Es sind lange Tage, denn zuhause müssen sie morgens und abends auch noch die Stallarbeit erledigen. Dennoch scheinen sich die Männer auf die Waldarbeit zu freuen. «Mit einem Tier zu arbeiten, das gut ausgebildet ist und sich nur über die Stimme lenken lässt, ist etwas Schönes», sagt Beni Marti. Die Arbeit ist körperlich anstrengend, doch laut Gian Denoth braucht es dafür weniger Kraft als Geschick und Technik. Kenne man sein Pferd gut, werde man zu einem eingespielten Team. «Mich fasziniert, was man alles ohne Maschinen leisten kann», sagt Fadri Denoth. 

Es gibt nicht mehr viele Personen, welche die Waldarbeit mit Pferden beherrschen. «Das ist schade, denn so geht Wissen verloren», meint Gian Denoth. Er hat diese Kunst bereits vor über 30 Jahren von einem alten Bauern in Tschlin gelernt, und sein Neffe Fadri lernt nun von ihm. «Es ist schön, dass sich auch Junge für diese Arbeit interessieren und diese Tradition somit weiterführen.» 

Schonender für den Boden
Die Bäume werden von den Mitarbeitern des Forstamts gefällt. Die Aufgabe von Gian Denoth und seiner Gruppe ist es, die vier, fünf Meter langen Baumstämme an die Talstrasse zu bringen, wo sie von einem Fahrzeug abgeholt werden können. Etwa neun Ladungen pro Tag transportieren die Männer. Pro Ladung sind das rund zwei Kubikmeter Holz.

 Das Hauptwerkzeug der Männer ist ein spitzer Holzwendehaken aus Metall, «il zappin». Damit ziehen sie die Baumstämme auf den Holzschlitten. Diese werden mit Eisenketten fixiert und dann abtransportiert. Die Arbeit mit Pferden ist für den Untergrund viel schonender als Forstarbeit mit Maschinen. 

Ein gutes Händchen für Pferde
An diesem Morgen Mitte Januar sind Gian Denoth und Beni Marti für das Aufladen und den Abtransport verantwortlich, Fadri Denoth holt mit Ariago die Baumstämme, die im Wald herumliegen und bringt sie an einen Ort neben dem Weg. «Zusammenziehen», nennen die Männer diese Arbeit. Der junge Mann aus Tschlin ist erst seit zwei Wochen Teil der Gruppe und noch in der Lernphase. Er führt das Pferd eines Landwirts, der wegen einer Verletzung aktuell nicht im Akkord arbeiten kann. 

Ein gutes Händchen für Pferde hat er allemal. Mit ruhiger Stimme lenkt er Ariago, lässt ihn immer wieder Verschnaufpausen machen und sucht den besten Weg, um die Baumstämme auf dem rutschigen Untergrund zum Sammelplatz hochzuziehen. Die Pferde haben Stollen an den Hufeisen – also eine Art Spikes. Dennoch rutschen sie gelegentlich aus, da der Untergrund bei jeder Runde weicher wird und sich an gewissen Stellen auch Eis gebildet hat. 

«Bei dieser Arbeit darf man nie vergessen, dass das Pferd ein Tier ist und damit trotz guter Ausbildung unberechenbar», sagt Gian Denoth. Einen grösseren Unfall habe seine Gruppe bisher zum Glück noch nie gehabt. Bei den Pferden sei ein guter Charakter das Wichtigste. «Ruhig müssen sie sein, nicht ängstlich.» Kraft hätten die meisten Pferde genug, es fehle aber zum Teil an der Lust zu arbeiten. Beim Führen brauche es wiederum Einfühlungsvermögen und Geduld.

Achtsam arbeiten ist wichtig
Von fern hört man inzwischen das Geräusch der Kettensägen der Mitarbeiter des Forstamts. Im Wald hingegen ist nur gelegentlich ein Schnauben zu hören, das Klopfen, wenn der Zappin in den Baumstamm geschlagen wird und das Klirren der Ketten. Ketten – «las fiergias» – werden auch als Bremse genutzt, denn die Schlitten können auf den steilen Wegen schnell an Geschwindigkeit zulegen. Die Männer, die auf der Holzladung sitzen, müssen stets gut darauf achtgeben, dass ihre Beine nirgends anschlagen oder eingeklemmt werden. 

Auf die Frage, ob es Arbeiten gebe, die sie weniger gerne machen, zucken die Männer mit den Schultern. «Alle müssen alles machen, wir wechseln uns ab.» Lediglich die administrative Arbeit erledige nur Gian Denoth. «Der Chef», nennen ihn die Männer schmunzelnd.

Eine eingeschworene Gemeinschaft
Die Bedingungen zum Holzrücken sind aktuell ideal: wenig Schnee, Kälte, trockenes Wetter. Die Männer sind eine eingeschworene Gemeinschaft. «Wir müssen uns aufeinander verlassen können, jeder weiss, was er zu tun hat», sagt Gian Denoth. Reich werden die Landwirte mit dieser Arbeit nicht. «Wir rechnen nicht in Geld, diese Arbeit hat für uns einen eigenen Wert», meint Beni Marti. Es sei eine befriedigende Arbeit, die eine gewisse Freiheit ermög­liche.

Bis Mittag arbeiten die Männer und ihre Pferde. Dann ist es Zeit für das Mittagessen über dem offenen Feuer. Den Pferden werden Decken aufgelegt und sie werden von den Leinen gelassen. Geduldig warten sie in der Nähe der Feuerstelle, bis die Arbeit wieder aufgenommen wird.