Engadiner Post: Frau Kollbrunner, Sie sind Gast an der Tagung zum Thema der nachhaltigen Entwicklung von Bergge­bie­ten. Wann kann sich ein Berggebiet nachhaltig entwickeln?

Sabine Kollbrunner: Das Wichtigste sind kompetente Akteure. Personen vor Ort, die die Region kennen, gute Ideen haben und wissen, wie sie der Region neue Impulse geben können, damit sie sich weiterentwickeln kann. Die Regionen sollen lebenswert bleiben, und dafür braucht es Unternehmertum sowie Unternehmer, die Arbeitsplätze schaffen, damit Menschen auch weiterhin in den Bergregionen wohnen und arbeiten können und Perspektiven haben.

Ein wichtiger Punkt ist, dass es in ländlichen, peripher gelegenen Regionen, die weiter entfernt von Hochschulen sind, zum Teil einen Anschub braucht. Solche Anschubhilfen, wie die Neue Regionalpolitik, können die nötigen Impulse leisten.

Sie waren einen Tag lang in der Region Maloja unterwegs. Was haben Sie aus der Perspektive der Co-Leiterin der Regionalpolitik beim SECO gesehen?

Es ist eine sehr reichhaltige Region: landschaftlich und touristisch. Die Region hat auch grosses Potenzial für wirtschaftliche Entwicklung. Vor allem in Richtung St. Moritz spielt der Tourismus eine enorm wichtige Rolle. Projekte wie der InnHub zeigen jedoch, dass es auch Weiterentwicklungen gibt, in die andere Unternehmen eingebunden sind – Projekte, die über den Tourismus hinaus Potenzial bieten.

Wie gefährlich ist das Klumpenrisiko Tourismus?

Das kann ein Risiko sein. Der Fokus auf den Tourismus in der Region ist deutlich zu sehen. Andere relevante Wirtschaftszweige einzubeziehen, ist nicht ganz einfach, weil zum Beispiel wenig Industriebetriebe ansässig sind. Auch gibt es ausserhalb des Tourismus kaum grosse Unternehmen. Davos hat mit dem WEF einen guten Aufhänger; etwas Vergleichbares sehe ich hier nicht. Auch der Anschluss an die Hochschulen ist schwieriger, obwohl es Mittelschulen gibt, um mit der Academia in Samedan ein Beispiel zu nennen. 

Ihr heutiges Inputreferat befasste sich mit dem Thema der residentiellen Ökonomie. Vereinfacht gesagt, geht es darum, die vorhandene Kaufkraft möglichst in der Region zu nutzen. In Ihrem Vortrag haben Sie ein Beispiel von einer Grenzregion zu Frankreich gebracht, wo die Leute in die Schweiz pendeln, hier verdienen und dieses Geld aber in Frankreich wieder ausgeben. Ist das ein spezifisches oder ein weit verbreitetes Problem?

Das unterscheidet sich von Region zu Region. Das Beispiel des Arc Jurassien, das ich gebracht habe, ist wahrscheinlich für die Schweiz einzigartig, weil es auf der Schweizer Seite sehr potente Unternehmen gibt, während es auf der französischen Seite nur wenige Arbeitsplätze gibt. Im Süden ist die Situation anders. Dort ist Mailand der grosse Magnet, aber gleichzeitig gibt es natürlich auch das Lohn- und Kostengefälle zwischen der Schweiz, wo die Preise und auch die Löhne viel höher sind, und Italien. In Basel oder in Genf ist die Situation noch einmal ganz anders. Dort ist die Agglomeration selbst über die Grenze hinausgewachsen.

Mit der Neuen Regionalpolitik des Bundes werden innovative Ideen für die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen gefördert. Können Sie anhand eines konkreten Beispiels ausführen, was damit genau gemeint ist?

Wir sitzen hier in einem sehr guten Beispiel. Der InnHub in La Punt ist eine Weiterentwicklung aus der Idee von Mia Engiadina. Mia Engiadina ist ein weiteres schönes Beispiel, wo mit grossem Engagement der regionalen Akteure ein Projekt mit verschiedenen Aspekten ins Leben gerufen wurde: Co-Working Spaces, wie jetzt der InnHub hier in La Punt als Pilotprojekt, aber auch in Scuol, Ardez und weiteren Orten. Daneben gibt es zahlreiche Projekte im Tourismus. Wenn man über den Berninapass ins Puschlav fährt, gibt es einen Schwerpunkt auf regionalen Produkten, der sich in letzter Zeit auch dank des Engagements der Regionalstelle und mit Unterstützung, unter anderem der NRP, stark entwickeln konnte.

Wir befinden uns hier in einer Grenzregion. Die EU hat mit Interreg ein Förderprogramm. Wie könnte das Engadin davon profitieren?

Sehr stark. Auch über Interreg gibt es Möglichkeiten, grenzüberschreitende Projekte zu fördern und dafür Geld zu erhalten. Das Oberengadin ist vielleicht nicht an vorderster Front dabei, weil oft die Berge die Grenze sind. Gegen Osten, ins Tirol, im Puschlav, im Bergell oder im Münstertal sieht es ganz anders aus. Dort gibt es sehr aktive Beteiligungen mit den angrenzenden italienischen Regionen, um mit Interreg konkret Projekte umzusetzen. Wichtig ist, dass es gemeinsame Projekte sind, die beiden Seiten nützen. Es geht nicht darum, dass eine italienische Region pro forma einen Schweizer Partner hinzuzieht. Aber auch für das Engadin gibt es Möglichkeiten, weil es Programme gibt, an denen der gesamte Alpenraum beteiligt ist und es einen thematischen Erfahrungsaustausch zu bestimmten Themen gibt.

Angenommen, ich habe eine gute Idee. Wie muss ich vorgehen, um diese mit Fördermitteln aus der Neuen Regionalpolitik umzusetzen?

Am besten informieren Sie sich auf der Seite regiosuisse.ch und schauen sich das Erklärvideo an, um zu sehen, ob Ihre Idee mit den Instrumenten der NRP kompatibel ist. Auf dieser Internetseite finden Sie auch eine Übersicht über weitere Finanzhilfen, die es vom Bund oder zum Teil vom Kanton gibt. Dort kann man sich inspirieren lassen und sehen, für welche Arten von Projekten Finanzierungsmöglichkeiten bestehen. Dann empfehle ich, Kontakt mit der Regionalentwicklerin oder dem Regionalentwickler aufzunehmen. Auch diese Kontaktdaten finden Sie auf regiosuisse.ch

Sabine Kollbrunner ist Co-Leiterin des Ressorts Regional- und Raumordnungspolitik beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco.
Autor: Reto Stifel

Die Berggebiete und die Neue Regionalpolitik
Gestern Freitag hat in Klosters die dritte Tagung «Zukunft Berggebiete» stattgefunden. Die Tagung richtet sich an Regionalentwicklerinnen und -entwickler aus Berggebieten, Verantwortliche von Gemeinden, Regionen und Kantonen sowie Tourismusdestinationen. In diesem Jahr stand an der ­Tagung das Thema «Residentielle ­Ökonomie» im Zentrum. Bereits am Donnerstag hatten die Tagungs­teil­nehmenden die Möglichkeit, Praxisbeispiele in der Region Maloja zu besuchen, so zum Beispiel den InnHub in La Punt oder den neuen Speichersee Lej Nair Pitschen auf Corviglia. Sabine Kollbrunner vom Staatssekretariat für Wirtschaft Seco hielt das Input-Referat zum Thema «Residentielle Ökono­mie» (siehe Interview). Kollbrunner ging dabei auf die Neue Regionalpolitik (NRP) ein, die am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist. Mit dieser fördern Bund und Kantone Bergge­biete, den weiteren ländlichen Raum und die Grenzregionen der Schweiz in ihrer regionalwirtschaft­lichen Entwicklung. Die Standortvoraussetzun­gen für unternehmerische Aktivitäten sollen verbessert, Innovationen und Wertschöpfung generiert sowie die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gestärkt werden. Die NRP unterstützt die Zielregionen dabei, Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten. Indirekt trägt sie dazu bei, die dezentrale Besiedlung in der Schweiz zu erhalten und regionale Disparitäten abzu­bauen.