Vor einem Jahr schien es, als würde die Vernunft über Prestige und Nationalstolz siegen: Aus Zeit- und Kostengründen wurde entschieden, dass die olympischen Wettbewerbe im Bob, Skeleton und Rodeln auf einer bereits bestehenden Bahn im nahen Ausland stattfinden sollen und auf den Bau des von Anfang an umstrittenen «Sliding Centers» in Cortina d‘Ampezzo verzichtet wird.
Wenige Wochen später dann die Kehrtwende: Die italienische Regierung sah sich im Stolz verletzt und wollte es nicht zulassen, dass ein kleiner Teil des Olympiaprogramms nicht in Italien durchgeführt wird. In nur 20 Tagen und über den Jahreswechsel hinweg wurde ein Ausschreibungsverfahren für ein höchst komplexes und umfangreiches Projekt durchgepeitscht. Die einzige Firma, die ein Angebot abgegeben hatte, erhielt den Zuschlag. Diese baut seither am Kunsteiskanal und scheint – Stand heute – den ambitionierten Zeitplan einhalten zu können.
Grund zur Freude ist jedoch nicht angebracht. Im Gegenteil: Der Bau einer neuen Bobbahn für die Olympischen Winterspiele 2026 ist unnötig. Erstens gibt es im Alpenraum und in Übersee bereits heute genügend Anlagen, die während drei bis vier Monaten im Jahr genutzt werden und die restliche Zeit als Beton-Schlangen in der Landschaft stehen – der Olympia Bobrun St. Moritz – Celerina als Natureiskanal ausgenommen.
Zweitens ist der Sicherheitsaspekt zu erwähnen. Aufgrund der knappen Zeiträume kann die neue Bahn von den Athletinnen und Athleten nicht ausreichend unter Wettkampfbedingungen getestet werden, wie es vorgesehen ist.
Drittens ist es unsinnig, Sportinfrastrukturen in einer Randsportart allein für einen Grossanlass zu bauen. Italien hat damit Erfahrung: Die für die Olympischen Winterspiele 2006 erstellte Bobbahn in Cesena wurde sechs Jahre nach der Eröffnung stillgelegt. Südkorea investierte über 100 Millionen Franken in eine Bobbahn, die nach den Spielen nie mehr für Weltcup-Rennen genutzt wurde. In China gehen Schätzungen davon aus, dass das nationale Bob- und Rodelzentrum Yanqing für die Spiele 2022 rund 500 Millionen Franken gekostet hat. Immerhin: Vor einem Jahr fanden dort Bob-Weltcup-Rennen statt, im diesjährigen Wettkampfkalender fehlt Yanqing jedoch als Austragungsort – ebenso wie im provisorischen Kalender 2025/26. Die immer wieder proklamierte Nachnutzung solcher Anlagen – auch des neuen Sliding Centers in Cortina d‘Ampezzo – ist in den wenigsten Fällen gegeben. Sicher ist nur, dass auch ohne internationale Wettkämpfe jährlich hohe Betriebskosten anfallen.
Das IOC hat sich gegen den Bau der neuen Bobbahn in Cortina d‘Ampezzo ausgesprochen. Dass diese nun trotzdem gebaut wird, erstaunt. Auch vor dem Hintergrund der IOC-«Agenda 2020», in der festgehalten wird, dass keine Wettkampfstätte ausschliesslich für Olympische Spiele gebaut werden soll, ist dies erstaunlich. In diesem konkreten Fall bleibt dieser Grundsatz nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.
r.stifel@engadinerpost.ch
Autor: Reto Stifel
Foto: Jon Duschletta
Autor: Reto Stifel
Foto: Jon Duschletta
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